Materialien

Neies Lautre
Zeitung für eine solidarische und basisdemokratische Gesellschaft

Aktuelle Ausgabe: Juni 2016


Heraus zum 1. Mai! [April 2016]
Geschichte und Perspektive aus anarchistischer Sicht / von AI KL
Zu lesen gibt es den Text hier.


Redebeitrag zum Antikriegstag 2015 in Kaiserslautern von AI KL
Zu lesen gibt es den Text hier


Rede der Anarchistischen Initiative Kaiserslautern zur Nachttanzdemonstration 'Gegen den Ausverkauf der Stadt' am 29.05.2015

In Kaiserslautern setzen sich seit einiger Zeit Menschen für die Schaffung eines selbstverwalteten unkommerziellen Kulturzentrums ein. Weiterhin fordern wir, Leerstände für soziale und kulturelle Belange zu nutzen.
Als Anarchistische Initiative beteiligen wir uns daran, weil wir einsehen, dass die Fra­gen, wie wir leben und wohnen, nicht von der Gestaltung der Stadt zu trennen sind. Wenn mögliche Rendi­te über die Zukunft ganzer Stadtviertel entscheiden, dann betrifft dies vor allem die Lohnabhängigen, und unter diesen in erster Linie die, welche ohnehin schon am stärksten benachteiligt sind: Prekär Beschäftigte, Erwerbslose und migrantische Arbeiter_innen. In vielen deutschen Großstädten wurden und werden ganze Bevölkerungsschichten aus den Urbanen Zentren ge­drängt – die Stadtzentren mit ihren vielfältigen Möglichkeiten der sozialen und kulturellen Teilhabe stehen dann nur noch jenen zur Verfügung, die sich eine entsprechend teure Wohnung leisten können.
Die hohe Zahl der Leerstände in Kaiserslautern ist nicht zu übersehen. Häuser und Räume sind Spekulationsobjekte geworden, d. h. die Immobilienfirmen und Eigentümer warten, bis der Marktpreis steigt, um dann aus Verkauf oder Vermietung einen höheren Gewinn zu erzielen. Die meisten Objekte dienen also privaten Profitinteressen. Bei öffentlichen Gebäuden sieht es nicht besser aus: Ihre Zahl sinkt, da die hohe Verschuldung der Kommune dazu führt, dass viele städtische Gebäude verkauft und damit privatisiert werden. Eine soziale oder kulturelle Nutzung ist damit ausgeschlossen. Stadtplanung findet meist nur profitorientiert statt. Ein Beispiel hierfür ist u. a. Die neue Shopping-Mall ‘K in Lautern’ im Herzen der Stadt. Öffentliche Gelder in Millionenhöhe wurden in die Infrastruktur um die Mall investiert, da sich Steuereinnahmen erhofft werden. Währenddessen befinden sich beispielsweise die Häuser im Kalkofen in katastrophalem Zustand und die städtischen Jugendzentren sind ständig von der Schließung bedroht. Wir sagen: Nein zum Ausverkauf der Stadt!

Die BewohnerInnen einer Stadt haben kaum Einfluss auf ihre Planung und Gestaltung. Selbst dann, wenn Bürger mit Befragungen oder ‘Ideenwettbewerben’ beteiligt werden sollen, sind die Möglichkeiten von sogenannten Sachzwängen begrenzt und werden nur wenige Menschen wirklich einbezogen; nämlich jene, die genügend Zeit und sonstige Ressourcen – z. B. Informationen und Wissen – besitzen, um sich einbringen zu können.
Es ist kein Zufall, dass die Gestaltung unserer Stadt größtenteils von Investoren und Bürokraten geprägt wird. Solange Profitinteressen zu Sachzwängen erklärt und von hierarchischen staatlichen Strukturen durchgesetzt werden, wird sich am Bild der Stadt nichts wesentlich zum besseren ändern. Wir wollen keine Stadt für Reiche, Bildungseliten und Konsumenten – wir wollen einen Stadt für Alle!

Es ist ein Skandal, das Häuser und Räume wie Waren behandelt werden. Der noch größere Skandal ist, das sie im Kapitalismus genau das sind. Waren, mit denen Profit erzielt werden soll. In Zeiten der kapitalistischen Krise strömt verstärkt Kapital in Immobilien, wo noch relativ sicher Rendite zu erzielen ist. Das treibt die Kosten für Wohnraum in die Höhe, sowohl die Immobilienpreise, als auch die Mieten. Das geht zulasten der Menschen, die darin leben und wer nicht zahlen kann, wird verdrängt. Als Mieterinnen und Mieter ist es uns egal, ob die Banken in der Krise stecken oder die Kommune sich umgestalten will. Es geht um unsere Nachbarschaft, unsere Lebensbedingungen und unsere Stadt. Der Kapitalismus gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Besser heute als morgen. Zusammen können wir uns wehren, lasst euch nichts gefallen und schließt euch zusammen. Das Problem heißt Kapitalismus!

Rede der Anarchistischen Initiative Kaiserslautern zur Antikapitalistischen Maidemonstration am 02.05.2015

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

Seit ca. 130 Jahren ist der 1. Mai der Kampftag der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Bei Streiks für den 8 Stunden Tag wurden im Mai 1886 in Chicago sowohl DemonstrantInnen, als auch Polizisten getötet. Im Anschluss wurden vier Organisatoren der Streiks zum Tode verurteilt und hingerichtet. Im Gedenken daran ist der erste Mai seitdem der Tag der internationalen ArbeiterInnenbewegung, an welchem weltweit Menschen ihren Protest gegen Missstände auf die Straße tragen.
Auch heute gibt es noch Gründe auf die Straße zu gehen. In Griechenland haben die Menschen unter Spardiktaten zu leiden. Auch in anderen südeuropäischen Ländern werden Krisenbewältigungsmaßnahmen auf Kosten der Bevölkerung durchgeführt. Und auch im vermeintlich durch die Krise unbetroffenen Deutschland haben die Menschen mit schlechten Arbeitsverhältnissen zu kämpfen. Viele arbeiten unter prekären Bedingungen. Das heißt, sie üben Jobs aus, die keine dauerhafte Existenzsicherung ermöglichen. Geringe Löhne und befristete Arbeitsverträge zeichnen Prekarisierung aus. 40 % aller Beschäftigungsverhältnisse sind Minijobs, Teilzeit oder Leiharbeit.
Um dem entgegen zu wirken brauchen wir eine starke und kämpferische Gewerkschaftsbewegung, die für eine Wirtschaft eintritt, die sich an Menschen und nicht an Profiten orientiert.
Doch solche Gewerkschaften sind der herrschenden kapitalistischen Politik und den Konzernen ein Dorn im Auge. Dies wird deutlich an der bevorstehenden Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes.
Das Gesetz sieht vor, dass in einem Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gelten soll und zwar der der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb. Andere Gewerkschaften können diesen nur nachzeichnen. Dies stellt eine massive Einschränkung des Grundrechts auf Streik dar.

Zu den Aufgaben einer Gewerkschaft zählen nicht nur der Kampf um bessere Löhne, vielmehr geht es darum, wie auch der DGB fordert, die Arbeit der Zukunft selbst zu gestalten!
Dafür ist aber eine demokratische Gestaltung der Betriebe nötig - und keine „Diktatur der Bosse“. Wir wollen demokratische Entscheidungsfindung im Betrieb.
Wer arbeitet soll auch entscheiden!

Solche Forderungen erfüllen sich jedoch nicht von selbst. Sie müssen von Menschen durchgesetzt werden. Dafür bedarf es einer Organisierung von unten, um zu gewährleisten, dass auch wirklich die Interessen der Betroffenen vertreten werden. Die Geschichte hat bewiesen, dass die Stimme der Arbeiter und Arbeiterinnen am meisten Gewicht hat, wenn diese selbst Druck aufbauen und sich nicht auf Politiker oder Funktionärinnen verlassen. Um dauerhafte Veränderungen herbeizuführen ist eine organisierte Massenbewegung nötig.

Wir wollen eine Wirtschaft und Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Entfremdung, jenseits von Kapitalismus und Staat.

Organisiert euch und kämpft mit uns für eine solidarische und basisdemokratische Gesellschaft!

Für einen libertären Sozialismus!


Themenkomplex Anarchie und Technik 21.08.2014 

Als Anarchist bekommt man oft vorgehalten, wenn man darauf hinweist, dass sich viele den meisten unbekannte Indianer- und Eingeborenenstämme nach anarchischen Prinzipien organisieren und Leben, dass das nur auf dieser niedrigen zivilisatorischen Stufe möglich sei und dass man dies nicht in einer technisierten Wirtschaft funktionieren kann, weswegen es interessant ist, dass anarchische Prinzipien gerade bei den Vorreitern heutiger technischer Entwicklungen zu finden sind, die wir in den kommenden Tagen vorstellen.
Gehen wir auf einige Aspekte des Internets ein, denn ohne dass es auf den ersten Blick erkennbar ist, kann man es auf den zweiten auch als einen Hort des Anarchismus ansehen.
Sei es, weil im Internet grundsätzlich jeder an fast allem teilhaben und mitgestalten kann, vieles, wie beispielsweise das größte online Lexikon Wikipedia, auf freiwilliger Mitarbeit aufbauen, jedes Individuum zum Kommunikator werden kann (Beispiel Twitter im Arabischen Frühling), viele Programmierer der ersten Stunde anarchistisch eingestellt waren und sind und auch bei jüngeren Programmierergenerationen der Anarchismus eine größere Rolle spielt, als in der Restbevölkerung.aber weil es Kommunikationswege schafft oder verkürzt, die neue Formen des Wirtschaftens und Lebens ermöglichen und so unsere gesamte Gesellschaft stetig ein wenig enthierarchisiert aber auch entkapitalisiert, denn so ist einer der Hauptverdienste des Internets bisher und auch in naher Zukunft das aufbrechen von alten Geschäftsstrukturen hin zu Gebrauchtwarenverkäufen, Tausch- und Teilsystemen.
Ok, hier ist anzumerken, dass Tausch und Gebrauchtwarenverkauf nicht grundsätzlich anarchisch sind, auch ist es nicht anarchisch, dass bei vielen Teilsystemen auch Geld verlangt wird, doch ist es im anarchischen Sinne, Bestehendes weiter zu nutzen. Und etwas nicht weg zu werfen, sondern für die Wieder- oder Weiterverwendung zur Verfügung zu stellen oder beispielsweise ein Auto zu mehreren zu nutzen, um es auszulasten, statt dass sich jeder eines nur für sich kauft, kann den ersten Schritt der Gewöhnung an ein Wirtschaften sein, das nicht auf Wachstum, sondern auf die einfache, möglichst direkte Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen setzt und dabei bestehendes lieber weiterverwendet, als sie wegzuwerfen.
Außerdem schadet jedes mehr- oder weiterverwendete Produkt dem Kapitalismus schon direkt, da keine Neuproduktion und Vernichtung des Alten stattfindet, was beispielsweise die Streitigkeiten um Uber oder Airbnb zeigen.
Großartig aus unserer Sicht ist aber auch, wie wunderbar anschaulich das Internet die Irrationalität des geistigen Eigentums macht, was bewusst nun viele und unterbewusst noch viel mehr Menschen hinterfragen, wenn sie sich ein Musikstück kostenlos herunterladen, oder sich einen Film als Stream ansehen. Warum sollte etwas, dass jedem leicht zugänglich sein könnte, nicht auch für jeden zugänglich gemacht werden?
Natürlich wird eingeworfen, ,,damit die Künstler auch davon leben können!´´, (und auch wenn dies anarchischem Wirtschaften sowieso entspricht) wäre dies doch sogar schon heute bei den wirklich guten und erfolgreichen Künstlern gegeben, da sie sich trotzdem Einnahmequellen erschließen können oder schon haben.
Wobei dies die ersten Schritte einer unaufhaltsamen Entwicklung sind, die hier die Musikindustrie in eine schwere Kriese gestürzt hat aber das heutige oder eher das gestrige Wirtschaftssystem ähnlich oder härter treffen wird, sei es durch die schon genannten, Wiederverwendungen, den Tausch, das Teilen oder das Ignorrieren der unnötigen Einschränkungen durch das Eigentumsrecht aber auch durch 3D Drucker, die all dies erheblich ausweiten wird und der auch Teil eines der nächsten Artikel sein werden.

So ist das Internet grundsätzlich ein Gewinn für die anarchistische Sache, auf die sich großartig aufbauen lässt.


Rede zur Refugees-Welcome-Demo am 05.04.2014 in Kusel

Wir wollen heute unsere Solidarität mit den Flüchtlingen zeigen, die sich aus vielen Teilen der Welt nach Deutschland gerettet haben und hier nicht nur unter rassistischen Ressentiments, sondern auch unter dem modernen europäischen Grenzregime leiden. Denn der Umgang der EU-Staaten mit sogenannten 'illegalen' Einwanderern ist mörderisch und menschenverachtend. Nach Schätzungen starben in den letzten zwei Jahrzehnten 15 000 Menschen an der europäischen Grenze, weil diese immer weiter dichtgemacht wird, allein bei einem Bootsunglück vor der Insel Lampedusa letzten Oktober ertranken über 300 Flüchtlinge. Wenn sie einmal hier sind wohnen AsylbewerberInnen auf bis zu 6,5 m², dürfen kein Geld verdienen und in manchen Bundesländern nicht einmal ihren Bezirk verlassen.
Aus nationaler Sicht allerdings ist ein solch hartes Vorgehen gegen schutzsuchende berechtigt: 'Wir' könnten schließlich nicht alle Aufnehmen, die BRD sei schließlich nicht das Weltsozialamt. Man könne einfach nicht allen Fremden die gleichen Privilegien zuteilwerden lassen wie uns Deutschen, das funktioniere schlichtweg nicht. Von Themen wie Arbeitsplätze, Kopftuchmädchen und Terroristen wollen wir gar nicht reden.
Bei solchen Aussagen stellen sich uns eine ganze Menge Fragen: Warum stehen 'wir' eigentlich in Konkurrenz mit den Flüchtlingen? Ist nicht genug Wohlstand für alle da? Und wenn sie fleißig sind und Wohlstand erarbeiten, wie können sie 'uns' dann Arbeitsplätze wegnehmen? Wer sind 'wir' eigentlich und warum?
Fangen wir von vorne an: Konkurrenz gibt es, weil wir im Kapitalismus leben. In dem wetteifern alle darum, möglichst viel Geld zu verdienen und in guten materiellen Verhältnissen leben zu können. Damit die Menschheit sich in dieser Wettbewerb nicht die Köpfe einschlägt, der Wettbewerb also in geregelten Bahnen ablaufen kann, braucht es Staaten, die Gesetze erlassen und durchsetzen. Die Leute, die in dem Territorium eines Staates leben, sind seine Bürger. Da aber ein Saat Einnahmen braucht, ist er von dem Einkommen seiner Bürger und dem Erfolg der einheimischen Wirtschaft abhängig und, weil diese mit der Wirtschaft anderer Länder konkurriert, in Konkurrenz mit anderen Staaten. Die Bürger sind wiederum abhängig von ihrem Staat, weil es, im Falle seines Bankrotts, auch ihnen schlecht ergeht (siehe Griechenland). Diese Schicksalsgemeinschaft aus Staat, Wirtschaft und Bevölkerung bildet die Nation.
Aus nationaler Sicht ist es logisch, Flüchtlinge abzuweisen, weil sie dem Staat nur Kosten verursachen und von der Wirtschaft nicht gebraucht werden. Ein anderes Mal ist es logisch, AusländerInnen als billige Arbeitskräfte auszubeuten, weil die eigene Bevölkerung nicht mehr dazu bereit ist. Es ist auch logisch, sich in die Belange anderer Nationen einzumischen, wenn dies der eigenen Wirtschaft nützt. All dies ist logisch - logisch und unmenschlich - weil es dazu führt, dass Menschen an Staatsgrenzen umkommen, Völker in Hass aufgewiegelt und mörderische Kriege geführt werden.
Wir wollen diese Logik nicht, wir wollen eine andere! Eine Logik der Menschlichkeit und der Solidarität. Eine Logik die niemanden ausschließt und keinen Hass sät.
Gegen Staat, Nation und Kapital! Ein Hoch auf die Anarchie!



Über den Extremismusbegriff
Der Extremismusbegriff ist heutzutage wohl so populär wie noch nie. Immer wieder wird vor den Gefahren, die durch die bösen Extremisten drohten, gewarnt; ob es nun Islamisten mit langem Bart, Neonazis, die Migranten ermorden oder Autonome, die Autos anzünden, sind. Immer wieder schwadroniert auch mal jemand über das politische Hufeisen, bei dem die beiden linken und rechten Enden zwar weit weg, aber gleichzeitig doch ganz nah sind. Und dank des Geistesblitzes unserer Familienministerin müssen alle politischen Initiativen, die staatliche Förderung bekommen wollen, sich umfassend von extremistischen Umtrieben säubern. Leider, leider wurde diese Extremismusklausel aber vor Gericht verworfen.
Die Extremismustheorie wird aus vielerlei Gründen kritisiert: 

  • Der Sammelbegriff „Extremismus“ verhindert eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen radikalen Ideologien. In der Publikation „Gibt es Extremismus“ der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen heißt es dazu: „Um die demokratische Gesellschaft gegen ihre Bedrohung stark zu machen ist es unserer Einschätzung nach notwendig, diese Bedrohung klar zu definieren, statt sie unter dem Sammelbegriff des Extremismus zu verschleiern. Dafür bedürfte es aber einer wesentlich größeren Zahl an Bezeichnungen und Definitionen als dieser einen.


  • Die Extremismustheorie vermittelt den Gegensatz zwischen den bösen Extremen und der guten Mitte. Die Probleme dabei sind: 1. Die Mitte gibt es nicht! 2. Die Mitte ist nicht gut! „Eine genauere Definition dessen, wer oder was politisch bzw. gesellschaftlich ‚Mitte‘ ist, also als demokratisch/als normal gilt und daraus die Legitimität seiner/ihrer Position ableitet und wer oder was eben nicht, bleibt die inhaltsleere Rede von den Extremen immer schuldig., schreibt Doris Liebscher in derselben Publikation. Die Vorstellung von der politischen Normalität ist halt subjektiv und hat sich in der Geschichte schon oft gewandelt. Gleichzeitig entstanden viele reaktionären Bewegungen nicht vom Rand, sondern mitten aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus. Dies hat sich bis heute nicht geändert.

Dazu passt auch der nächste Kritikpunkt:

  • Abgeschlossene Ränder, wie sie sich die Theorie vorstellt, gibt es ebenfalls nicht! Wenn 15-20% der Bevölkerung einen Führerstaat befürworten, bedeutet dies eine Unterstützung rechtsextremistischer Ziele weit über das neonazistische Milieu hinaus. Da zudem kaum eine Organisation ihre Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung öffentlich erklärt, ist die Frage nach der extremistischen Einstellung immer wieder umstritten.

  • Durch die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus wird von der unterschiedlichen Intensität der Phänomene abgelenkt. Dann kann sich ein Schulleiter in Sachsen, wie Petra Schickert berichtet, mehr vor dem Aussehen der Punks als den hohen Ergebnissen der NPD bei den U-18 Wahlen an der Schule fürchten. Wie unbegründet diese Gleichsetzung ist, zeigen zwei Zahlen: Das Verhältnis der Tötungsdelikte von rechtsextremistischem Hintergrund zu denen mit linksextremistischem liegt für die letzten 20 Jahre bei 180:0.

Abgesehen von diesen Kritikpunkten ist außerdem die Herangehensweise der Extremismustheorie falsch. Sie betrachtet zur Definition einer Anschauung oder Organisation nur deren Standpunkt zu einem einzigen Thema, nämlich der sogenannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Radikale Linke und Rechte haben also nur eine Gemeinsamkeit, sie wollen (angeblich) unsere Verfassung abschaffen, und schon kann man sie gleichsetzen. Das ist natürlich ziemlich gehaltlos, schließlich sind ja auch Politiker der LINKEN genauso gegen ESM und Fiskalpakt wie solche der CSU, ohne sich mit diesen in eine gemeinsame Fraktion zu setzen. Auch das Argument, die Frage nach Demokratie oder nicht sei schließlich so wichtig, dass man den Rest der Weltanschauung getrost hintan stellen könne, greift nicht. Tatsächlich definieren sich radikale Linke vor allem über ihren Antikapitalismus, radikale Rechte vor allem über ihren Nationalismus und ihre Xenophobie und beide nicht primär über ihre Ablehnung der Demokratie.
Wer eine politische Anschauung verstehen möchte, muss ihren gesamten Inhalt, ihre gesamte politische Theorie und alle Ergebnisse ihrer politischen Praxis betrachten und hinterfragen. In der Extremismustheorie spielt all das keine Rolle. Sie dient nicht als Erklärung anderer, den politischen Mainstream konträr verlaufender, Ansichten, sondern ist einfach nur ein Werkzeug der modernen antisozialistischen Demagogie.



Über den Sinn und Unsinn des Wählens
In regelmäßigen Abständen werden alle erwachsenen Bürger unseres Staates dazu aufgerufen, zu den Urnen zu schreiten und neue Volksvertreter zu wählen. Und in genauso regelmäßigen Abständen stellen sich diese Bürger die Frage: „Wen soll ich wählen?“, und vor allem: „Soll ich überhaupt wählen gehen?“. Die zweite dieser Fragen beantworten inzwischen immer mehr Menschen mit „Nein!“ und sorgen somit dafür, dass die Wahlbeteiligung stetig abnimmt. Aber ist das nicht unverantwortlich? Verletzen die Nichtwähler nicht ihre Pflicht als Staatsbürger?
„Ich geh nicht wählen, denn die da oben sind eh alle gleich!“, antwortet der Nichtwähler und andere sagen: „Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie verboten!“ Aber nun Schluss mit den Binsenweisheiten! Welche Gründe gibt es dafür, wählen zu gehen? Wir möchten diese Frage aus der Sicht eines Nichtwählers betrachten (den wir ja vom Wählen überzeugen wollen): Für diesen gibt es keine Partei, die ihn wirklich begeistern kann, von der er sich gut vertreten fühlt oder deren Meinung er im Großen und Ganzen teilt, die sich also sichtbar positiv von den anderen Parteien unterscheidet (wäre dies nicht so, könnte er schließlich ruhig wählen gehen).
Da gibt es als Grund zum einen den Erhalt der Demokratie, ein wichtiges Gut für die Meisten. Da diese von Wahlen abhängt, könnte sie durch ihr verschwinden eingehen, wie eine Pflanze, die ihres Wassers beraubt wird. Aber was für eine Demokratie ist es, in der alle Parteien gleich langweilig, gleich inhaltsleer und gleich wenig vertrauenerweckend sind? Ist es diese Demokratie wert, wählen zu gehen?
Tatsächlich ist die Demokratie doch kein Selbstzweck! Das bedeutende an ihr sind die demokratischen Werte: Freiheit, Mitbestimmung, Gewaltenteilung, unabhängige Justiz mit gleichem Recht für alle, etc. Diese Errungenschaften sind jedoch nicht direkt an die Wahl gebunden (oder ist ein Nichtwähler weniger frei?) und die einzige Möglichkeit, sie zu beseitigen, wäre eine Diktatur. Wie aber soll der Diktator an die Macht kommen, wenn er nicht gewählt wird wie Hitler seinerzeit.
Womit wir schon beim zweiten Punkt wären: Was ist, wenn eine sehr gefährliche Partei durch unser Nicht-Wählen an Einfluss gewinnen könnte? Sollte man, wenn schon nicht, um eine gute Partei in Parlament oder Regierung zu hieven, so doch, um eine schlechte davon fern zu halten, wählen gehen (wenn zum Beispiel die NPD über die 5%-Hürde kommen könnte)? Diese Ausnahme lasse ich (als Antifaschist) gerne gelten, aber sie ist halt zum Glück immer noch eher die Ausnahme, denn die Regel. Und zugleich sollte man nicht vergessen, dass auch 4,9 % für die NPD immer noch 4,9 % zu viel sind und man sich in diesem Fall nach der Wahl nicht beruhigt zurücklehnen darf. Im Gegenteil war oft der Erfolg solch einer Partei ein Weckruf für die Verteidiger der demokratischen Werte. Aber solange keine Gefahr durch faschistische Parteien besteht, ist auch dieses Argument nicht von Bedeutung.
Viele Nichtwähler müssen sich anhören, sie sollten sich gefälligst nicht beschweren, schließlich wären viele Menschen in anderen Ländern froh, wenn sie überhaupt wählen dürften. Dieser Vorwurf ist allerdings nichts anderes als plumpe Polemik, denn im Gegensatz zu uns gibt es in diesen Ländern noch eine Entscheidung zu treffen, nämlich Demokratie und Diktatur und im Gegensatz zu uns müssen sie sich ihre Freiheit auch noch erkämpfen. Unsere Lage ist allerdings zum Glück eine andere.
Tatsächlich ist der Einsatz für Werte wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit und gegen Krieg oder Faschismus von immenser Bedeutung. Aber dieser Einsatz findet nicht mehr in den Parlamenten statt und er kann auch nicht durch Wahlen unterstützt werden. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass auch Parteien, die ursprünglich für den Pazifismus standen, Kriege unterstützen können (wie z. B. die Grünen) und dass auch Vertreter des Liberalismus, die eigentlich unsere demokratischen Werte im Blut haben sollten, in Wirklichkeit einfache Klientelpolitik betreiben (wie z. B. die „Mövenpick-Partei“ FDP). Aber das liegt (sicher) nicht daran, dass unsere Politiker heute einfach gierig und korrupt sind (und früher war sicher nicht alles besser); sie können nicht anders. Denn tatsächlich sind diese Menschen, sobald sie in ein staatliches Amt gewählt wurden, Teil eines Systems, das nicht zuerst dem Volk dient und dessen Werte auch nicht die der französischen Revolution sind. Ohne dieses System, dem marktwirtschaftlichen Kapitalismus mit einer bürgerlichen Demokratie, besäßen die kritisierten Politiker weder ihr Amt, noch ihr Einkommen, weder ihren Statur, noch ihre Macht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Regeln dieses Systems für sie mehr Gewicht haben als der Wille ihrer Wähler. Und da die Maxime des Kapitalismus, wie der Name schon sagt, das Geld ist, sollte die moralische Zweifelhaftigkeit der Politik nicht verwundern. Um auf die oben genannten Beispiele einzugehen: Ein aktiver Kriegseinsatz wie der Kosovokrieg seinerzeit hat sogar dreifachen Nutzen. Erstens kann man so einen (eher) feindlich gesinnten Staat (Jugoslawien) zurückdrängen, wenn nicht sogar beseitigen und einen oder mehrere neue Staaten „erschaffen“, die nicht nur befreundet sondern (noch wichtiger) auch noch von Deutschland abhängig sind. Gleichzeitig kann man sowohl nach innen als auch nach außen moralische Überlegenheit beanspruchen: „Seht her, wir kämpfen gegen die Bösen und für die Guten!“ (Was nicht nur im Wahlkampf, sondern auch in der Diplomatie recht nützlich ist). Und zu guter Letzt verdienen die einheimischen Konzerne natürlich kräftig daran, denn schließlich muss nicht nur der Krieg (und Deutschland ist nicht umsonst Europameister in SachenRüstungsexporten), sondern auch die durch ihn entstandenen Schäden bezahlt werden (und wer verdient wohl an den deutschen Ausgaben in Entwicklungshilfe?).
Dass eine Partei wie die FDP (sobald sie mal in der Regierung ist) ohne Bedenken Klientelpolitik betreibt und Steuergeschenke verteilt, sollte niemanden überraschen; vor allem, wenn sie erst dank den Geldern der nun begünstigten Branche (in dem Fall die Hoteliers) an die Macht kommen konnte. Auch wenn natürlich im Normalfall niemand von den Zuwendungen erfährt, kann man es sich schon denken.
Man sollte sich also, falls man politischen Einsatz für notwendig hält, besser nicht auf die Parteien verlassen. Das heißt: Am Ende muss man eben doch alles selber machen! Das ist natürlich nicht sehr bequem, aber immer noch erfolgreicher, als die Beschlüsse der Regierenden: das Blockieren einer Nazi-Demo, das verhindern eines NPD-Standes oder das offene Widersprechen gegen geäußerte rassistische Vorurteile - kurz: antifaschistische Aktion – bewirken mehr als dutzende Schweigeminuten, Demokratie-Programme oder Extremismusklauseln – kurz: (scheinbar) antifaschistische Politik. Und den Kriegsdienst zu verweigern und gegen den Krieg zu protestieren ist auch erfolgreicher, als eine Partei zu wählen, die verspricht, den Krieg zu verhindern.
Aber kann man nicht beides machen? Wählen und auf die Straße gehen? Natürlich kann man das, aber es ist halt nicht erfolgsversprechend. Denn wer wählt, ändert nicht nur nichts; er unterstützt auch den Erhalt des status quo, indem er jeglichen Protest delegitimiert.
Die Legitimation aller Herrschenden in einer Demokratie bezieht sich zuerst und ausschließlich darauf, von der Mehrheit des Volkes zur Herrschaft bestimmt worden zu sein. Wenn ein kritischer Bürger also zur Wahl geht, so legitimiert er die aus dieser als Sieger hervorgehende Partei, weil er entweder seinen Willen (die Herrschanden, die er wollte) bekommt oder eh in der Minderheit ist und sich der Mehrheit fügen muss. Somit hat er sich für später jegliche Handlungsfreiheit genommen. Nicht umsonst heißt es also: „Wer wählt, hat seine Stimme schon abgegeben!“ Wer seine Stimme abgegeben hat, ist stumm; er kann höchstens mit seinen Armen winken, aber keinen Politiker wird es kümmern. Wer aber mitentscheiden und mitgestalten möchte; wer die Geschichte nicht an sich vorbeiziehen lassen, sondern sie schreiben möchte; wer sein Schicksal nicht anderen, sondern nur ich selbst anvertrauen möchte; der braucht seine Stimme noch und sollte sie deshalb nicht in eine Urne werfen, die dann verbrannt wird, nur damit Schall und weißer Rauch aufsteigt und ein himmlischer Chor aus Wahlleitern „Habemus Papam“ ausrufen kann.
Was wir also brauchen, sind keine Papstwahlen und keine geistigen oder politischen Führer, egal ob gott- oder volksgewollt, die uns regelmäßig ins Verderben führen. Dafür lohnt es sich nicht, auch nur die geringsten Energien zu verschwenden. Was wir brauchen, ist eine Gesellschaft, in der niemand entscheidet, wie man zu leben hat, in der die Menschen nicht nur auf dem Papier gleich sind und in der gemeinsame Entscheidungen miteinander und nicht gegeneinander getroffen werden. Für solch eine Gesellschaft treten wir Anarchistinnen und Anarchisten ein, nicht durch Wahlen, sondern durch ehrliches Engagement und kämpferischen Aktivismus.

 
Anarchie und das Recht des Stärkeren
Anarchie, das ist doch das Recht des Stärkeren? Wie in der Steinzeit: Wer die größere Keule hat, setzt sich durch!“ Solche Einschätzungen muss man sich als Anarchist oft anhören. Aber stimmt das wirklich? Wir Anarchisten glauben natürlich, dass vernünftige Menschen eher kooperieren als konkurrieren, aber man kann sogar noch weiter gehen: Nicht in der Anarchie, sondern im kapitalistischen Staat gilt das (zivilisierte) Recht des Stärkeren! Um diesen Satz zu verstehen muss man sich unser Recht ansehen und fragen „Cui bono?“ (zu dt. „Wem nützt es?“). Als bestes Beispiel kann man hierfür den Schutz des Eigentums nehmen, welches von Anarchisten schon häufig kritisiert wurde. Dieses Recht dient sicher nicht den armen oder normal-verdienenden Menschen, die sowieso nichts oder kaum etwas Wertvolles ihr Eigen nennen, das man ihnen stehlen könnte (wobei man hier sicher differenzieren muss, da unser insg. größerer Wohlstand und die soziale Schichtung dafür sorgen, dass auch normale Menschen von ärmeren bestohlen werden, da dies einfacher ist). Tatsächlich dient der Schutz des Eigentums vor allem den Reichen, deren Reichtum so gesichert ist. Diese Menschen erlangten ihren Reichtum dadurch, dass sie (oder ihre Vorfahren, die ihnen ihren Reichtum vererbten) sich in eine hohe Stellung hinaufgearbeitet haben. Jetzt verdienen sie viel Geld damit, z. B. als Manager oder Banker andere Menschen auszubeuten und die meisten von ihnen profitieren so von deren Elend oder gar Tod. Diese sind im Wettbewerb nicht so weit gekommen und leben nun weiter unten in der Pyramide, weil sie mit weniger Glück und/oder Talent ausgezeichnet sind/waren. Diese Konkurrenz ist anders als die der Steinzeit: Sie wird nicht mit Keulen ausgefochten, sondern mit den Ellenbogen. Aber dennoch gilt hier das Recht des Stärkeren, das des Talentierteren und Glücklicheren, und dieser Wettkampf kostet jährlich Millionen Menschen das Leben. Der Staat sorgt dafür, dass in dieser Konkurrenz die Spielregeln eingehalten werden. Somit zivilisiert er zum einen den Wettbewerb und macht ihn etwas fairer, zum andern aber erhält er ihn auch indem er verhindert, dass sich die Verlierer von den Gewinnern holen, was ihnen weggenommen wurde. Hätten wir eine Gesellschaft, in der die Menschen nicht konkurrieren sondern kooperieren, in der die „Starken“ die „Schwachen“ nicht ausbeuten, sondern unterstützen, hätten wir also Sozialismus, dann bräuchten wir diesen Staat, der nur um der Erhaltung der Konkurrenz willen existiert, nicht mehr und könnten ihn abschaffen. Dann hätten wir Anarchie!


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