Neies Lautre
Zeitung für eine solidarische und basisdemokratische Gesellschaft
Aktuelle Ausgabe: Juni 2016
Heraus zum 1. Mai! [April 2016]
Geschichte
und Perspektive aus anarchistischer Sicht / von AI KL
Zu lesen gibt es den Text hier.
Redebeitrag zum Antikriegstag 2015 in Kaiserslautern von AI KL
Zu lesen gibt es den Text hier
Rede der Anarchistischen Initiative Kaiserslautern zur Nachttanzdemonstration 'Gegen den Ausverkauf der Stadt' am 29.05.2015
In Kaiserslautern setzen sich seit einiger Zeit Menschen für die
Schaffung eines selbstverwalteten unkommerziellen Kulturzentrums ein.
Weiterhin fordern wir, Leerstände für soziale und kulturelle Belange zu
nutzen.
Als Anarchistische Initiative beteiligen wir uns daran,
weil wir einsehen, dass die Fragen, wie wir leben und wohnen, nicht von
der Gestaltung der Stadt zu trennen sind. Wenn mögliche Rendite über
die Zukunft ganzer Stadtviertel entscheiden, dann betrifft dies vor
allem die Lohnabhängigen, und unter diesen in erster Linie die, welche
ohnehin schon am stärksten benachteiligt sind: Prekär Beschäftigte,
Erwerbslose und migrantische Arbeiter_innen. In vielen deutschen
Großstädten wurden und werden ganze Bevölkerungsschichten aus den
Urbanen Zentren gedrängt – die Stadtzentren mit ihren vielfältigen
Möglichkeiten der sozialen und kulturellen Teilhabe stehen dann nur noch
jenen zur Verfügung, die sich eine entsprechend teure Wohnung leisten
können.
Die hohe Zahl der Leerstände in Kaiserslautern ist nicht
zu übersehen. Häuser und Räume sind Spekulationsobjekte geworden, d. h.
die Immobilienfirmen und Eigentümer warten, bis der Marktpreis steigt,
um dann aus Verkauf oder Vermietung einen höheren Gewinn zu erzielen.
Die meisten Objekte dienen also privaten Profitinteressen. Bei
öffentlichen Gebäuden sieht es nicht besser aus: Ihre Zahl sinkt, da die
hohe Verschuldung der Kommune dazu führt, dass viele städtische Gebäude
verkauft und damit privatisiert werden. Eine soziale oder kulturelle
Nutzung ist damit ausgeschlossen. Stadtplanung findet meist nur
profitorientiert statt. Ein Beispiel hierfür ist u. a. Die neue
Shopping-Mall ‘K in Lautern’ im Herzen der Stadt. Öffentliche Gelder in
Millionenhöhe wurden in die Infrastruktur um die Mall investiert, da
sich Steuereinnahmen erhofft werden. Währenddessen befinden sich
beispielsweise die Häuser im Kalkofen in katastrophalem Zustand und die
städtischen Jugendzentren sind ständig von der Schließung bedroht.
Wir sagen: Nein zum Ausverkauf der Stadt!
Die BewohnerInnen einer Stadt haben kaum Einfluss auf ihre Planung und Gestaltung. Selbst dann, wenn Bürger mit Befragungen oder ‘Ideenwettbewerben’ beteiligt werden sollen, sind die Möglichkeiten von sogenannten Sachzwängen begrenzt und werden nur wenige Menschen wirklich einbezogen; nämlich jene, die genügend Zeit und sonstige Ressourcen – z. B. Informationen und Wissen – besitzen, um sich einbringen zu können.
Es ist kein Zufall, dass die Gestaltung unserer Stadt größtenteils von Investoren und Bürokraten geprägt wird. Solange Profitinteressen zu Sachzwängen erklärt und von hierarchischen staatlichen Strukturen durchgesetzt werden, wird sich am Bild der Stadt nichts wesentlich zum besseren ändern. Wir wollen keine Stadt für Reiche, Bildungseliten und Konsumenten – wir wollen einen Stadt für Alle!
Es ist ein Skandal,
das Häuser und Räume wie Waren behandelt werden. Der noch größere
Skandal ist, das sie im Kapitalismus genau das sind. Waren, mit denen
Profit erzielt werden soll. In Zeiten der kapitalistischen Krise strömt
verstärkt Kapital in Immobilien, wo noch relativ sicher Rendite zu
erzielen ist. Das treibt die Kosten für Wohnraum in die Höhe, sowohl die
Immobilienpreise, als auch die Mieten. Das geht zulasten der Menschen,
die darin leben und wer nicht zahlen kann, wird verdrängt. Als
Mieterinnen und Mieter ist es uns egal, ob die Banken in der Krise
stecken oder die Kommune sich umgestalten will. Es geht um unsere
Nachbarschaft, unsere Lebensbedingungen und unsere Stadt. Der
Kapitalismus gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Besser heute als
morgen. Zusammen können wir uns wehren, lasst euch nichts gefallen und
schließt euch zusammen. Das Problem heißt Kapitalismus!
Rede der Anarchistischen Initiative Kaiserslautern zur Antikapitalistischen Maidemonstration am 02.05.2015
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
Seit ca. 130 Jahren ist der 1. Mai der Kampftag der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Bei Streiks für den 8 Stunden Tag wurden im Mai 1886 in Chicago sowohl DemonstrantInnen, als auch Polizisten getötet. Im Anschluss wurden vier Organisatoren der Streiks zum Tode verurteilt und hingerichtet. Im Gedenken daran ist der erste Mai seitdem der Tag der internationalen ArbeiterInnenbewegung, an welchem weltweit Menschen ihren Protest gegen Missstände auf die Straße tragen.
Auch heute gibt es noch Gründe auf die Straße zu gehen. In
Griechenland haben die Menschen unter Spardiktaten zu leiden. Auch in
anderen südeuropäischen Ländern werden Krisenbewältigungsmaßnahmen
auf Kosten der Bevölkerung durchgeführt. Und auch im vermeintlich
durch die Krise unbetroffenen Deutschland haben die Menschen mit
schlechten Arbeitsverhältnissen zu kämpfen. Viele arbeiten unter
prekären Bedingungen. Das heißt, sie üben Jobs aus, die keine
dauerhafte Existenzsicherung ermöglichen. Geringe Löhne und
befristete Arbeitsverträge zeichnen Prekarisierung aus. 40 % aller
Beschäftigungsverhältnisse sind Minijobs, Teilzeit oder Leiharbeit.
Um dem entgegen zu wirken brauchen wir eine starke und
kämpferische Gewerkschaftsbewegung, die für eine Wirtschaft
eintritt, die sich an Menschen und nicht an Profiten orientiert.
Doch solche Gewerkschaften sind der herrschenden kapitalistischen
Politik und den Konzernen ein Dorn im Auge. Dies wird deutlich an der
bevorstehenden Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes.
Das Gesetz sieht vor, dass in einem Betrieb nur noch ein
Tarifvertrag gelten soll und zwar der der Gewerkschaft mit den
meisten Mitgliedern im Betrieb. Andere Gewerkschaften können diesen
nur nachzeichnen. Dies stellt eine massive Einschränkung des
Grundrechts auf Streik dar.
Zu den Aufgaben einer Gewerkschaft zählen nicht nur der Kampf um bessere Löhne, vielmehr geht es darum, wie auch der DGB fordert, die Arbeit der Zukunft selbst zu gestalten!
Dafür ist aber eine demokratische Gestaltung der Betriebe nötig
- und keine „Diktatur der Bosse“. Wir wollen demokratische
Entscheidungsfindung im Betrieb.
Wer arbeitet soll auch entscheiden!
Solche Forderungen erfüllen sich jedoch nicht von selbst. Sie müssen von Menschen durchgesetzt werden. Dafür bedarf es einer Organisierung von unten, um zu gewährleisten, dass auch wirklich die Interessen der Betroffenen vertreten werden. Die Geschichte hat bewiesen, dass die Stimme der Arbeiter und Arbeiterinnen am meisten Gewicht hat, wenn diese selbst Druck aufbauen und sich nicht auf Politiker oder Funktionärinnen verlassen. Um dauerhafte Veränderungen herbeizuführen ist eine organisierte Massenbewegung nötig.
Wir wollen eine Wirtschaft und Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Entfremdung, jenseits von Kapitalismus und Staat.
Organisiert euch und kämpft mit uns für eine solidarische und basisdemokratische Gesellschaft!
Für einen libertären Sozialismus!
Themenkomplex Anarchie und Technik 21.08.2014
Als Anarchist bekommt man oft vorgehalten, wenn man darauf hinweist, dass sich viele den meisten unbekannte Indianer- und Eingeborenenstämme nach anarchischen Prinzipien organisieren und Leben, dass das nur auf dieser niedrigen zivilisatorischen Stufe möglich sei und dass man dies nicht in einer technisierten Wirtschaft funktionieren kann, weswegen es interessant ist, dass anarchische Prinzipien gerade bei den Vorreitern heutiger technischer Entwicklungen zu finden sind, die wir in den kommenden Tagen vorstellen.
Gehen wir auf einige Aspekte des
Internets ein, denn ohne dass es auf den ersten Blick erkennbar ist,
kann man es auf den zweiten auch als einen Hort des Anarchismus ansehen.
Sei es, weil im Internet grundsätzlich jeder an fast allem teilhaben
und mitgestalten kann, vieles, wie beispielsweise das größte online
Lexikon Wikipedia, auf freiwilliger Mitarbeit aufbauen, jedes Individuum
zum Kommunikator werden kann (Beispiel Twitter im Arabischen Frühling),
viele Programmierer der ersten Stunde anarchistisch eingestellt waren
und sind und auch bei jüngeren Programmierergenerationen der Anarchismus
eine größere Rolle spielt, als in der Restbevölkerung.aber weil es
Kommunikationswege schafft oder verkürzt, die neue Formen des
Wirtschaftens und Lebens ermöglichen und so unsere gesamte Gesellschaft
stetig ein wenig enthierarchisiert aber auch entkapitalisiert, denn so
ist einer der Hauptverdienste des Internets bisher und auch in naher
Zukunft das aufbrechen von alten Geschäftsstrukturen hin zu
Gebrauchtwarenverkäufen, Tausch- und Teilsystemen.
Ok, hier ist
anzumerken, dass Tausch und Gebrauchtwarenverkauf nicht grundsätzlich
anarchisch sind, auch ist es nicht anarchisch, dass bei vielen
Teilsystemen auch Geld verlangt wird, doch ist es im anarchischen Sinne,
Bestehendes weiter zu nutzen. Und etwas nicht weg zu werfen, sondern
für die Wieder- oder Weiterverwendung zur Verfügung zu stellen oder
beispielsweise ein Auto zu mehreren zu nutzen, um es auszulasten, statt
dass sich jeder eines nur für sich kauft, kann den ersten Schritt der
Gewöhnung an ein Wirtschaften sein, das nicht auf Wachstum, sondern auf
die einfache, möglichst direkte Befriedigung der Bedürfnisse der
Menschen setzt und dabei bestehendes lieber weiterverwendet, als sie
wegzuwerfen.
Außerdem schadet jedes mehr- oder weiterverwendete
Produkt dem Kapitalismus schon direkt, da keine Neuproduktion und
Vernichtung des Alten stattfindet, was beispielsweise die Streitigkeiten
um Uber oder Airbnb zeigen.
Großartig aus unserer Sicht ist aber
auch, wie wunderbar anschaulich das Internet die Irrationalität des
geistigen Eigentums macht, was bewusst nun viele und unterbewusst noch
viel mehr Menschen hinterfragen, wenn sie sich ein Musikstück kostenlos
herunterladen, oder sich einen Film als Stream ansehen. Warum sollte
etwas, dass jedem leicht zugänglich sein könnte, nicht auch für jeden
zugänglich gemacht werden?
Natürlich wird eingeworfen, ,,damit die
Künstler auch davon leben können!´´, (und auch wenn dies anarchischem
Wirtschaften sowieso entspricht) wäre dies doch sogar schon heute bei
den wirklich guten und erfolgreichen Künstlern gegeben, da sie sich
trotzdem Einnahmequellen erschließen können oder schon haben.
Wobei
dies die ersten Schritte einer unaufhaltsamen Entwicklung sind, die hier
die Musikindustrie in eine schwere Kriese gestürzt hat aber das heutige
oder eher das gestrige Wirtschaftssystem ähnlich oder härter treffen
wird, sei es durch die schon genannten, Wiederverwendungen, den Tausch,
das Teilen oder das Ignorrieren der unnötigen Einschränkungen durch das
Eigentumsrecht aber auch durch 3D Drucker, die all dies erheblich
ausweiten wird und der auch Teil eines der nächsten Artikel sein werden.
So ist das Internet grundsätzlich ein Gewinn für die anarchistische Sache, auf die sich großartig aufbauen lässt.
Rede zur Refugees-Welcome-Demo am 05.04.2014 in Kusel
Wir wollen heute unsere Solidarität mit den Flüchtlingen zeigen,
die sich aus vielen Teilen der Welt nach Deutschland gerettet haben und hier
nicht nur unter rassistischen Ressentiments, sondern auch unter dem modernen
europäischen Grenzregime leiden. Denn der Umgang der EU-Staaten mit sogenannten
'illegalen' Einwanderern ist mörderisch und menschenverachtend. Nach
Schätzungen starben in den letzten zwei Jahrzehnten 15 000 Menschen an der
europäischen Grenze, weil diese immer weiter dichtgemacht wird, allein bei
einem Bootsunglück vor der Insel Lampedusa letzten Oktober ertranken über 300
Flüchtlinge. Wenn sie einmal hier sind wohnen AsylbewerberInnen auf bis zu 6,5
m², dürfen kein Geld verdienen und in manchen Bundesländern nicht einmal ihren Bezirk
verlassen.
Aus nationaler Sicht allerdings ist ein solch hartes
Vorgehen gegen schutzsuchende berechtigt: 'Wir' könnten schließlich nicht alle
Aufnehmen, die BRD sei schließlich nicht das Weltsozialamt. Man könne einfach
nicht allen Fremden die gleichen Privilegien zuteilwerden lassen wie uns
Deutschen, das funktioniere schlichtweg nicht. Von Themen wie Arbeitsplätze, Kopftuchmädchen
und Terroristen wollen wir gar nicht reden.
Bei solchen Aussagen stellen sich uns eine ganze Menge
Fragen: Warum stehen 'wir' eigentlich in Konkurrenz mit den Flüchtlingen? Ist
nicht genug Wohlstand für alle da? Und wenn sie fleißig sind und Wohlstand
erarbeiten, wie können sie 'uns' dann Arbeitsplätze wegnehmen? Wer sind 'wir'
eigentlich und warum?
Fangen wir von vorne an: Konkurrenz gibt es, weil wir im
Kapitalismus leben. In dem wetteifern alle darum, möglichst viel Geld zu
verdienen und in guten materiellen Verhältnissen leben zu können. Damit die
Menschheit sich in dieser Wettbewerb nicht die Köpfe einschlägt, der Wettbewerb
also in geregelten Bahnen ablaufen kann, braucht es Staaten, die Gesetze
erlassen und durchsetzen. Die Leute, die in dem Territorium eines Staates
leben, sind seine Bürger. Da aber ein Saat Einnahmen braucht, ist er von dem
Einkommen seiner Bürger und dem Erfolg der einheimischen Wirtschaft abhängig
und, weil diese mit der Wirtschaft anderer Länder konkurriert, in Konkurrenz
mit anderen Staaten. Die Bürger sind wiederum abhängig von ihrem Staat, weil
es, im Falle seines Bankrotts, auch ihnen schlecht ergeht (siehe Griechenland).
Diese Schicksalsgemeinschaft aus Staat, Wirtschaft und Bevölkerung bildet die
Nation.
Aus nationaler Sicht ist es logisch, Flüchtlinge abzuweisen,
weil sie dem Staat nur Kosten verursachen und von der Wirtschaft nicht gebraucht
werden. Ein anderes Mal ist es logisch, AusländerInnen als billige
Arbeitskräfte auszubeuten, weil die eigene Bevölkerung nicht mehr dazu bereit
ist. Es ist auch logisch, sich in die Belange anderer Nationen einzumischen,
wenn dies der eigenen Wirtschaft nützt. All dies ist logisch - logisch und
unmenschlich - weil es dazu führt, dass Menschen an Staatsgrenzen umkommen,
Völker in Hass aufgewiegelt und mörderische Kriege geführt werden.
Wir wollen diese Logik nicht, wir wollen eine andere! Eine
Logik der Menschlichkeit und der Solidarität. Eine Logik die niemanden
ausschließt und keinen Hass sät.
Gegen Staat, Nation
und Kapital! Ein Hoch auf die Anarchie!
Über
den Extremismusbegriff
Der Extremismusbegriff ist heutzutage wohl so populär wie
noch nie. Immer wieder wird vor den Gefahren, die durch die bösen Extremisten
drohten, gewarnt; ob es nun Islamisten mit langem Bart, Neonazis, die Migranten
ermorden oder Autonome, die Autos anzünden, sind. Immer wieder schwadroniert
auch mal jemand über das politische Hufeisen, bei dem die beiden linken und
rechten Enden zwar weit weg, aber gleichzeitig doch ganz nah sind. Und dank des
Geistesblitzes unserer Familienministerin müssen alle politischen Initiativen,
die staatliche Förderung bekommen wollen, sich umfassend von extremistischen
Umtrieben säubern. Leider, leider wurde diese Extremismusklausel aber vor
Gericht verworfen.
Die
Extremismustheorie wird aus vielerlei Gründen kritisiert:
- Der Sammelbegriff „Extremismus“ verhindert eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen radikalen Ideologien. In der Publikation „Gibt es Extremismus“ der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen heißt es dazu: „Um die demokratische Gesellschaft gegen ihre Bedrohung stark zu machen ist es unserer Einschätzung nach notwendig, diese Bedrohung klar zu definieren, statt sie unter dem Sammelbegriff des Extremismus zu verschleiern.“ Dafür bedürfte es aber einer wesentlich größeren Zahl an Bezeichnungen und Definitionen als dieser einen.
- Die Extremismustheorie vermittelt den Gegensatz zwischen den bösen Extremen und der guten Mitte. Die Probleme dabei sind: 1. Die Mitte gibt es nicht! 2. Die Mitte ist nicht gut! „Eine genauere Definition dessen, wer oder was politisch bzw. gesellschaftlich ‚Mitte‘ ist, also als demokratisch/als normal gilt und daraus die Legitimität seiner/ihrer Position ableitet und wer oder was eben nicht, bleibt die inhaltsleere Rede von den Extremen immer schuldig.“, schreibt Doris Liebscher in derselben Publikation. Die Vorstellung von der politischen Normalität ist halt subjektiv und hat sich in der Geschichte schon oft gewandelt. Gleichzeitig entstanden viele reaktionären Bewegungen nicht vom Rand, sondern mitten aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus. Dies hat sich bis heute nicht geändert.
Dazu
passt auch der nächste Kritikpunkt:
- Abgeschlossene Ränder, wie sie sich die Theorie vorstellt, gibt es ebenfalls nicht! Wenn 15-20% der Bevölkerung einen Führerstaat befürworten, bedeutet dies eine Unterstützung rechtsextremistischer Ziele weit über das neonazistische Milieu hinaus. Da zudem kaum eine Organisation ihre Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung öffentlich erklärt, ist die Frage nach der extremistischen Einstellung immer wieder umstritten.
- Durch die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus wird von der unterschiedlichen Intensität der Phänomene abgelenkt. Dann kann sich ein Schulleiter in Sachsen, wie Petra Schickert berichtet, mehr vor dem Aussehen der Punks als den hohen Ergebnissen der NPD bei den U-18 Wahlen an der Schule fürchten. Wie unbegründet diese Gleichsetzung ist, zeigen zwei Zahlen: Das Verhältnis der Tötungsdelikte von rechtsextremistischem Hintergrund zu denen mit linksextremistischem liegt für die letzten 20 Jahre bei 180:0.
Abgesehen
von diesen Kritikpunkten ist außerdem die Herangehensweise der
Extremismustheorie falsch. Sie betrachtet zur Definition einer Anschauung oder
Organisation nur deren Standpunkt zu einem einzigen Thema, nämlich der
sogenannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Radikale Linke und Rechte
haben also nur eine Gemeinsamkeit, sie wollen (angeblich) unsere Verfassung
abschaffen, und schon kann man sie gleichsetzen. Das ist natürlich ziemlich
gehaltlos, schließlich sind ja auch Politiker der LINKEN genauso gegen ESM und
Fiskalpakt wie solche der CSU, ohne sich mit diesen in eine gemeinsame Fraktion
zu setzen. Auch das Argument, die Frage nach Demokratie oder nicht sei
schließlich so wichtig, dass man den Rest der Weltanschauung getrost hintan
stellen könne, greift nicht. Tatsächlich definieren sich radikale Linke vor
allem über ihren Antikapitalismus, radikale Rechte vor allem über ihren
Nationalismus und ihre Xenophobie und beide nicht primär über ihre Ablehnung
der Demokratie.
Wer eine politische Anschauung verstehen möchte, muss
ihren gesamten Inhalt, ihre gesamte politische Theorie und alle Ergebnisse
ihrer politischen Praxis betrachten und hinterfragen. In der Extremismustheorie
spielt all das keine Rolle. Sie dient nicht als Erklärung anderer, den
politischen Mainstream konträr verlaufender, Ansichten, sondern ist einfach nur
ein Werkzeug der modernen antisozialistischen Demagogie.
Über
den Sinn und Unsinn des Wählens
In regelmäßigen Abständen werden alle erwachsenen Bürger
unseres Staates dazu aufgerufen, zu den Urnen zu schreiten und neue
Volksvertreter zu wählen. Und in genauso regelmäßigen Abständen stellen sich
diese Bürger die Frage: „Wen soll ich wählen?“, und vor allem: „Soll ich
überhaupt wählen gehen?“. Die zweite dieser Fragen beantworten inzwischen immer
mehr Menschen mit „Nein!“ und sorgen somit dafür, dass die Wahlbeteiligung
stetig abnimmt. Aber ist das nicht unverantwortlich? Verletzen die Nichtwähler
nicht ihre Pflicht als Staatsbürger?
„Ich geh nicht wählen, denn die da oben sind eh alle
gleich!“, antwortet der Nichtwähler und andere sagen: „Wenn Wahlen etwas ändern
könnten, wären sie verboten!“ Aber nun Schluss mit den Binsenweisheiten! Welche
Gründe gibt es dafür, wählen zu gehen? Wir möchten diese Frage aus der Sicht
eines Nichtwählers betrachten (den wir ja vom Wählen überzeugen wollen): Für
diesen gibt es keine Partei, die ihn wirklich begeistern kann, von der er sich
gut vertreten fühlt oder deren Meinung er im Großen und Ganzen teilt, die sich
also sichtbar positiv von den anderen Parteien unterscheidet (wäre dies nicht
so, könnte er schließlich ruhig wählen gehen).
Da gibt es als Grund zum einen den Erhalt der Demokratie,
ein wichtiges Gut für die Meisten. Da diese von Wahlen abhängt, könnte sie
durch ihr verschwinden eingehen, wie eine Pflanze, die ihres Wassers beraubt
wird. Aber was für eine Demokratie ist es, in der alle Parteien gleich
langweilig, gleich inhaltsleer und gleich wenig vertrauenerweckend sind? Ist es
diese Demokratie wert, wählen zu gehen?
Tatsächlich ist die Demokratie doch kein Selbstzweck! Das
bedeutende an ihr sind die demokratischen Werte: Freiheit, Mitbestimmung,
Gewaltenteilung, unabhängige Justiz mit gleichem Recht für alle, etc. Diese
Errungenschaften sind jedoch nicht direkt an die Wahl gebunden (oder ist ein
Nichtwähler weniger frei?) und die einzige Möglichkeit, sie zu beseitigen, wäre
eine Diktatur. Wie aber soll der Diktator an die Macht kommen, wenn er nicht
gewählt wird wie Hitler seinerzeit.
Womit wir schon beim zweiten Punkt wären: Was ist, wenn
eine sehr gefährliche Partei durch unser Nicht-Wählen an Einfluss gewinnen
könnte? Sollte man, wenn schon nicht, um eine gute Partei in Parlament oder
Regierung zu hieven, so doch, um eine schlechte davon fern zu halten, wählen
gehen (wenn zum Beispiel die NPD über die 5%-Hürde kommen könnte)? Diese
Ausnahme lasse ich (als Antifaschist) gerne gelten, aber sie ist halt zum Glück
immer noch eher die Ausnahme, denn die Regel. Und zugleich sollte man nicht
vergessen, dass auch 4,9 % für die NPD immer noch 4,9 % zu viel sind und man
sich in diesem Fall nach der Wahl nicht beruhigt zurücklehnen darf. Im
Gegenteil war oft der Erfolg solch einer Partei ein Weckruf für die Verteidiger
der demokratischen Werte. Aber solange keine Gefahr durch faschistische
Parteien besteht, ist auch dieses Argument nicht von Bedeutung.
Viele Nichtwähler müssen sich anhören, sie sollten sich
gefälligst nicht beschweren, schließlich wären viele Menschen in anderen
Ländern froh, wenn sie überhaupt wählen dürften. Dieser Vorwurf ist allerdings
nichts anderes als plumpe Polemik, denn im Gegensatz zu uns gibt es in diesen
Ländern noch eine Entscheidung zu treffen, nämlich Demokratie und Diktatur und
im Gegensatz zu uns müssen sie sich ihre Freiheit auch noch erkämpfen. Unsere
Lage ist allerdings zum Glück eine andere.
Tatsächlich
ist der Einsatz für Werte wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und
Menschlichkeit und gegen Krieg oder Faschismus von immenser Bedeutung. Aber
dieser Einsatz findet nicht mehr in den Parlamenten statt und er kann auch
nicht durch Wahlen unterstützt werden. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass auch
Parteien, die ursprünglich für den Pazifismus standen, Kriege unterstützen
können (wie z. B. die Grünen) und dass auch Vertreter des Liberalismus, die
eigentlich unsere demokratischen Werte im Blut haben sollten, in Wirklichkeit
einfache Klientelpolitik betreiben (wie z. B. die „Mövenpick-Partei“ FDP). Aber
das liegt (sicher) nicht daran, dass unsere Politiker heute einfach gierig und
korrupt sind (und früher war sicher nicht alles besser); sie können nicht
anders. Denn tatsächlich sind diese Menschen, sobald sie in ein staatliches Amt
gewählt wurden, Teil eines Systems, das nicht zuerst dem Volk dient und dessen
Werte auch nicht die der französischen Revolution sind. Ohne dieses System, dem
marktwirtschaftlichen Kapitalismus mit einer bürgerlichen Demokratie, besäßen
die kritisierten Politiker weder ihr Amt, noch ihr Einkommen, weder ihren
Statur, noch ihre Macht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Regeln
dieses Systems für sie mehr Gewicht haben als der Wille ihrer Wähler. Und da
die Maxime des Kapitalismus, wie der Name schon sagt, das Geld ist, sollte die
moralische Zweifelhaftigkeit der Politik nicht verwundern. Um auf die oben
genannten Beispiele einzugehen: Ein aktiver Kriegseinsatz wie der Kosovokrieg
seinerzeit hat sogar dreifachen Nutzen. Erstens kann man so einen (eher)
feindlich gesinnten Staat (Jugoslawien) zurückdrängen, wenn nicht sogar
beseitigen und einen oder mehrere neue Staaten „erschaffen“, die nicht nur
befreundet sondern (noch wichtiger) auch noch von Deutschland abhängig sind.
Gleichzeitig kann man sowohl nach innen als auch nach außen moralische
Überlegenheit beanspruchen: „Seht her, wir kämpfen gegen die Bösen und für die
Guten!“ (Was nicht nur im Wahlkampf, sondern auch in der Diplomatie recht
nützlich ist). Und zu guter Letzt verdienen die einheimischen Konzerne
natürlich kräftig daran, denn schließlich muss nicht nur der Krieg (und
Deutschland ist nicht umsonst Europameister in SachenRüstungsexporten), sondern
auch die durch ihn entstandenen Schäden bezahlt werden (und wer verdient wohl
an den deutschen Ausgaben in Entwicklungshilfe?).
Dass eine Partei wie die FDP (sobald sie mal in der Regierung
ist) ohne Bedenken Klientelpolitik betreibt und Steuergeschenke verteilt,
sollte niemanden überraschen; vor allem, wenn sie erst dank den Geldern der nun
begünstigten Branche (in dem Fall die Hoteliers) an die Macht kommen konnte.
Auch wenn natürlich im Normalfall niemand von den Zuwendungen erfährt, kann man
es sich schon denken.
Man sollte sich also, falls man politischen Einsatz für
notwendig hält, besser nicht auf die Parteien verlassen. Das heißt: Am Ende
muss man eben doch alles selber machen! Das ist natürlich nicht sehr bequem,
aber immer noch erfolgreicher, als die Beschlüsse der Regierenden: das
Blockieren einer Nazi-Demo, das verhindern eines NPD-Standes oder das offene
Widersprechen gegen geäußerte rassistische Vorurteile - kurz: antifaschistische
Aktion – bewirken mehr als dutzende Schweigeminuten, Demokratie-Programme oder
Extremismusklauseln – kurz: (scheinbar) antifaschistische Politik. Und den
Kriegsdienst zu verweigern und gegen den Krieg zu protestieren ist auch
erfolgreicher, als eine Partei zu wählen, die verspricht, den Krieg zu verhindern.
Aber kann man nicht beides machen? Wählen und auf die
Straße gehen? Natürlich kann man das, aber es ist halt nicht erfolgsversprechend.
Denn wer wählt, ändert nicht nur nichts; er unterstützt auch den Erhalt des status quo, indem er jeglichen
Protest delegitimiert.
Die Legitimation aller Herrschenden in einer
Demokratie bezieht sich zuerst und ausschließlich darauf, von der Mehrheit des
Volkes zur Herrschaft bestimmt worden zu sein. Wenn ein kritischer Bürger also
zur Wahl geht, so legitimiert er die aus dieser als Sieger hervorgehende
Partei, weil er entweder seinen Willen (die Herrschanden, die er wollte)
bekommt oder eh in der Minderheit ist und sich der Mehrheit fügen muss. Somit
hat er sich für später jegliche Handlungsfreiheit genommen. Nicht umsonst heißt
es also: „Wer wählt, hat seine Stimme schon abgegeben!“ Wer seine Stimme
abgegeben hat, ist stumm; er kann höchstens mit seinen Armen winken, aber
keinen Politiker wird es kümmern. Wer aber mitentscheiden und mitgestalten
möchte; wer die Geschichte nicht an sich vorbeiziehen lassen, sondern sie
schreiben möchte; wer sein Schicksal nicht anderen, sondern nur ich selbst
anvertrauen möchte; der braucht seine Stimme noch und sollte sie deshalb nicht
in eine Urne werfen, die dann verbrannt wird, nur damit Schall und weißer Rauch
aufsteigt und ein himmlischer Chor aus Wahlleitern „Habemus Papam“
ausrufen kann.
Was wir also brauchen, sind keine Papstwahlen und keine
geistigen oder politischen Führer, egal ob gott- oder volksgewollt, die uns
regelmäßig ins Verderben führen. Dafür lohnt es sich nicht, auch nur die
geringsten Energien zu verschwenden. Was wir brauchen, ist eine Gesellschaft,
in der niemand entscheidet, wie man zu leben hat, in der die Menschen nicht nur
auf dem Papier gleich sind und in der gemeinsame Entscheidungen miteinander und
nicht gegeneinander getroffen werden. Für solch eine Gesellschaft treten wir
Anarchistinnen und Anarchisten ein, nicht durch Wahlen, sondern durch ehrliches
Engagement und kämpferischen Aktivismus.
Anarchie
und das Recht des Stärkeren
„Anarchie, das ist
doch das Recht des Stärkeren? Wie in der Steinzeit: Wer die größere Keule hat,
setzt sich durch!“ Solche Einschätzungen muss man sich als Anarchist oft
anhören. Aber stimmt das wirklich? Wir Anarchisten glauben natürlich, dass
vernünftige Menschen eher kooperieren als konkurrieren, aber man kann sogar
noch weiter gehen: Nicht in der Anarchie, sondern im kapitalistischen Staat
gilt das (zivilisierte) Recht des Stärkeren! Um diesen Satz zu verstehen muss
man sich unser Recht ansehen und fragen „Cui
bono?“ (zu dt. „Wem nützt es?“).
Als bestes Beispiel kann man hierfür den Schutz des Eigentums nehmen, welches
von Anarchisten schon häufig kritisiert wurde. Dieses Recht dient sicher nicht
den armen oder normal-verdienenden Menschen, die sowieso nichts oder kaum etwas
Wertvolles ihr Eigen nennen, das man ihnen stehlen könnte (wobei man hier
sicher differenzieren muss, da unser insg. größerer Wohlstand und die soziale
Schichtung dafür sorgen, dass auch normale Menschen von ärmeren bestohlen
werden, da dies einfacher ist). Tatsächlich dient der Schutz des Eigentums vor
allem den Reichen, deren Reichtum so gesichert ist. Diese Menschen erlangten
ihren Reichtum dadurch, dass sie (oder ihre Vorfahren, die ihnen ihren Reichtum
vererbten) sich in eine hohe Stellung hinaufgearbeitet haben. Jetzt verdienen
sie viel Geld damit, z. B. als Manager oder Banker andere Menschen auszubeuten
und die meisten von ihnen profitieren so von deren Elend oder gar Tod. Diese
sind im Wettbewerb nicht so weit gekommen und leben nun weiter unten in der
Pyramide, weil sie mit weniger Glück und/oder Talent ausgezeichnet sind/waren. Diese
Konkurrenz ist anders als die der Steinzeit: Sie wird nicht mit Keulen
ausgefochten, sondern mit den Ellenbogen. Aber dennoch gilt hier das Recht des
Stärkeren, das des Talentierteren und Glücklicheren, und dieser Wettkampf
kostet jährlich Millionen Menschen das Leben. Der Staat sorgt dafür, dass in
dieser Konkurrenz die Spielregeln eingehalten werden. Somit zivilisiert er zum
einen den Wettbewerb und macht ihn etwas fairer, zum andern aber erhält er ihn
auch indem er verhindert, dass sich die Verlierer von den Gewinnern holen, was
ihnen weggenommen wurde. Hätten wir eine Gesellschaft, in der die Menschen
nicht konkurrieren sondern kooperieren, in der die „Starken“ die „Schwachen“
nicht ausbeuten, sondern unterstützen, hätten wir also Sozialismus, dann bräuchten
wir diesen Staat, der nur um der Erhaltung der Konkurrenz willen existiert,
nicht mehr und könnten ihn abschaffen. Dann hätten wir Anarchie!
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